Close
Reise in die andere Welt

Text & Foto: Mirco Lomoth
FAS NR.42 – 23.11.2011

   ine Nische am Ende der Höhle. Hier zündeten sie Kerzen an und verbrannten Baumharz, wenn der Mais nicht gedieh oder jemand erkrankte, zahlten Bußgeld an die Santa Tierra, die Heilige Erde. Manchmal kam er mit den alten Männern her, seit er zwölf Jahre alt war. Sebastián Iboy steht im schwachen Licht, das vom Eingang herüber fällt und sich grau auf sein Gesicht legt, Tropfsteinsilhouetten ragen von der Decke, Fledermäuse flattern umher, es riecht beißend nach Ammoniak. Jetzt gibt es keine Alten mehr in Rio Negro, sagt Sebastián, es sind leise Worte, die sich in der Dunkelheit verlieren. Von Andrés Iboy, er war 98 Jahre alt, ein weiser Mann, fanden sie nur noch den Hut, die Soldaten hatten ihn einen Hang hinab gestoßen, der Fluss hat seinen Körper mitgenommen. Unterhalb der Höhle fließt der Chixoy milchkaffeefarben durchs Tal.

Sebastían wirft den Außenborder an, steuert hinaus auf den Stausee, ein Mann mit ernster Mine, der erst lächelt, wenn man ihn anspricht, goldumrandete Zähne. Blanker Fels ragt aus dem Wasser, hier und dort stehen silbrig-graue Stämme abgestorbener Bäume am Ufer, auf denen Kormorane sitzen, die grünen Hänge beginnen weiter oben, wo der See am Ende der Regenzeit seinen Höchststand erreicht.
Nimayá nennen sie ihn in der Maya-Sprache Achí, die sie hier sprechen, großer Fluss – wie den Chixoy, wenn er früher über seine Ufer trat und die Felder überschwemmte.

Antes, sagt Sebastián, damals, als sie noch unten am Ufer lebten, da bauten sie Mais, Bohnen und Chili auf den fruchtbaren Flussauen an, gab es prächtige Mangobäume, Cashews, Orangen, Limonen, Chirimoya. Das war vor der violencia, sagt Sebastián, vor der Gewalt. Bevor sie den Bewohnern von Rio Negro vorwarfen mit der Guerilla zu kollaborieren, bevor sie zu töten begannen, bevor sie den Staudamm bauten.

Er macht das Boot fest und geht den steilen Weg hinauf zum Besucherzentrum, das sie für Touristen gebaut haben, die seit ein paar Jahren ins Dorf kommen, setzt sich auf die Veranda, erinnert sich. Es war April als das Wasser stieg, die Mangos waren reif und bald trieben die Strohdächer der Häuser auf dem Wasser. Da war schon tot, wer in ihnen gelebt hatte. Lauf in die Berge, wenn die Hunde bellen, hatte seine Mutter zu ihm gesagt, dann sind die Soldaten vorne am Dorfeingang. Sie bellten am Morgen des 13. Februars 1982 um kurz vor sechs. Er lief mit seinem Bruder davon, versteckte sich in den Wäldern. Als wir zurück kamen, sagt Sebastián, gab es nur noch Hunde und Hühner. Er hält inne, schweigt, schaut hinaus auf den Staussee. Es ist keine Lüge, sagt er, ich war 16 Jahre als es geschah. Wie konnten sie denken, dass wir Guerilleros sind, die Bauern, die Frauen und Kinder? …

Ganzer Text in FAS  NR.42 — 23.11.2011