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Out of Babylon

Text & Fotos: Mirco Lomoth
Die Zeit | Nr.01–29.12.2011

   in Schlagbaum. Rot, gelb, grün gestreift, wie die Flagge, die darüber weht, bei Windstößen ist der gekrönte Löwe Judas darauf zu sehen. Es läuft laute Reggae-Musik. Im Schatten unter einem Holzverschlag sitzen Gestalten mit wilden Rastamähnen, sie schauen mich teilnahmslos an. Einer steht auf, kommt auf mich zu, er trägt schulterlange verfilzte dreadlocks und ein Muskelshirt mit dem Aufdruck God made Grass, er ist bestimmt schon Mitte fünfzig. Etwas in seinen Augen irritiert mich. Unfassbar sanft blicken sie in die Welt. Dann lächelt er, grüßt mich – ahoi! –, öffnet den Schlagbaum und winkt mich herein.

Judah Square. Eine Rastafari-Gemeinde in Khayalethu, einem Armenviertel der schwarzen Bevölkerung am Rande der geleckten Küstenstadt Knysna an Südafrikas Garden Route. Eine Sackgasse, die auf einen Hügel führt, von oben sieht man das Meer hinter den bunten Häuschen des Townships. Um die 30 Rasta-Familien leben hier, sie haben Gärten angelegt, es gibt eine Kirche, einen Kindergarten und eine kleine Pension. Hier können sich Touristen für ein paar Tage unter die Rastas mischen. Deswegen bin ich hier.

Sista Kerri streckt mir ihre Faust entgegen. So begrüßt man sich hier, Faust an Faust und Faust aufs Herz. Sie ist meine Gastgeberin, eine hagere Frau, 57 Jahre alt, weiße Hautfarbe, klare stahlblaue Augen und auf dem Kopf ein stattlicher Haarsack, Tam genannt, in dem sie ihre locks verstaut, grob gehäkelt und prall gefüllt, sie rückt ihn oft zurecht und fummelt heraus gefallene Strähnchen zurück hinters Ohr.

Sie hat gekocht, es gibt jamaikanische Bohnen mit Reis. Vegan und ohne Salz. »Wir versuchen gesund zu leben, das ist Teil der Rasta livity«, sagt sie.
Wir sitzen in ihrem Esszimmer, an der Wand hängen Bilder von Bob Marley und Haile Selassie, letzter Kaiser von Äthiopien, geboren als Ras Tafari Makonnen, gekrönt 1930, gestorben 1975. Man sieht ihn überall in Judah Square. Die Rastafaris halten ihn für eine Reinkarnation Jesu Christi. Ihm, der als Ras Tafari Makonnen geboren wurde, verdanken sie ihren Namen. Und an ihn knüpfen sie ihre Hoffnung, eines Tages als schwarze Israeliten ins Paradies Zion einzuziehen.

»Ich war schon immer sehr religiös«, sagt Sista Kerri. In ihrer Heimat Australien wuchs sie als Katholikin auf. Rasta ist sie, seit sie vor 33 Jahren auf Barbados bei einer Rasta-Familie gelebt hat.

„Es war wie eine Wiedergeburt für mich, 
ich wusste damals, das ist mein Weg.“

Sie ließ ihr Haar wachsen, mittlerweile reicht es bis auf den Boden. Für gläubige Rastafari sind dreadlocks keine Mode, sondern ein Eid gegenüber Gott, die Haare nicht mehr zu schneiden. Wie bei dem Israelitenführer Samson, dessen sieben Locken als Zeichen göttlicher Stärke nie geschnitten werden durften. „Sie sollen wachsen wie die Wurzeln eines Baumes“, sagt Sista Kerri. …

Ganzer Text in Die Zeit NR. 01 — 29.12.2011