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MIT VOLLDAMPF INS VERDERBEN

Text: Mirco Lomoth
P.M. History 11/15

   er Deutsche zieht nervös er an seiner Zigarette und bläst den Rauch in das Verhörzimmer. Er trägt einen gut sitzenden Anzug, seine wachen Augen fixieren den Mann, der ihm gegenüber sitzt. „Ich habe eine lange Geschichte zu erzählen, aber ich erzähle sie ihnen auf meine Weise“, sagt er großspurig mit hartem deutschem Akzent. Duane L. Traynor nickt höflich. Der 32-jährige Agent der Anti-Sabotage-Einheit des FBI in Washington trägt einen Kugelschreiber in der Brusttasche und eine Pistole am Gürtel. Er weiß, dass dies der wichtigste Fall seiner Laufbahn werden könnte, wenn der geheimnisvolle Deutsche Vertrauen zu ihm fasst.  

Gegen 10 Uhr morgens an diesem 19. Juni 1942 hatte der Deutsche vom Hotel Mayflower aus „REpublic 7100“ gewählt, die zentrale Nummer des FBI, und sich als Franz Daniel Pastorius aus Deutschland ausgegeben, der brisante Informationen zu übermitteln hätte. Traynor schickte einen Wagen. Als der Mann keine halbe Stunde später in Raum 2248 des Justizministeriums seinen Hut abnahm, durchfuhr es ihn: Die weiße Strähne in seinem zurückgekämmten Haar hatte einige Tage zuvor ein junger Mann der US-Küstenwache bei einer verdächtigen Person an einem Strand auf Long Island bemerkt. Ganz in der Nähe waren deutsche Marineuniformen und mehrere Kisten mit Sabotagematerial gefunden worden – TNT-Blöcke, Zündkabel und als Füllfederhalter getarnte Zeitzünder. Genug Sprengstoff, um das Empire State Building in die Luft zu jagen. Traynor ließ sich nichts anmerken.

Der Deutsche ist gesprächig, erwähnt sofort den Sprengstoff, den er mit seinen Kameraden auf Long Island vergraben habe. Er drückt sich vornehm aus, fährt sich mit dem Zeigefinger an die Nase, wenn er seinen Worten Gewicht verleihen will. Bereitwillig stimmt er zu, dass Stenotypistinnen mitschreiben. „Ich will, dass die Aussage offiziell wird“, sagt er und gibt seinen wirklichen Namen zu Protokoll: George John Dasch aus Speyer am Rhein. Traynor behandelt ihn zuvorkommend, versorgt ihn mit Zigaretten, Hähnchen-Sandwichs und Milch. Er will den aufgeweckten Deutschen in dem Glauben lassen, ein freier Mann zu sein, um möglichst viel über die geplanten Sabotageaktionen aus ihm herauszukitzeln. Sechs Tage dauert die Befragung, sechs Stenotypistinnen schreiben abwechselnd mit. An den Abenden führt Traynor seinen Informanten großzügig in Washingtoner Restaurants aus. Er erfährt eine unglaubliche Geschichte.

Am 13. Juli 1942, kurz nach Mitternacht, schleppen drei Männer in deutschen Marineuniformen Holzkisten über den Strand von Amagansett auf Long Island, rund 170 Kilometer östlich von New York. Sie laufen durch dichten Nebel zu den Dünen. Ein Vierter, ein schmaler Mann mit rotem Wollpullover, Tennisschuhen und dunkelbraunem Filzhut, steht in der Brandung und hilft zwei Matrosen dabei, ein Schlauchboot auszuleeren. Plötzlich nähert sich der Lichtkegel einer Taschenlampe durch den Nebel. George John Dasch flucht. 45 Tage haben sie an Bord von U 202 verbracht, bis die Ostküste der Vereinigten Staaten im Sehrohr aufgetaucht ist und sie mit dem Schlauchboot übersetzen konnten. Jetzt soll ihre Mission enden, nachdem sie gerade den ersten Fuß an Land gesetzt haben?
„Who are you?“, ruft ein junger Mann in dunkelblauer Uniform der US-Küstenwache. „Fischer aus East Hampton“, antwortet Dasch. „Wir waren unterwegs nach Montauk Point, aber unser Boot ist auf Grund gelaufen. Wir warten auf den Sonnenaufgang.“ Der Mann schaut misstrauisch, anscheinend ist er unbewaffnet. Er ist einer von tausenden schlecht ausgerüsteten „sand pounders“, Sandstampfern, die zu Fuß die amerikanischen Küsten ablaufen, um auffällige Vorkommnisse zu melden. Er fordert Dasch auf, mit zur Wachstation zu kommen.

Daschs Befehl für diesen Fall lautet: Feind überwältigen und als Kriegsgefangenen zurück zu U 202 schicken. Es wäre ein Leichtes: Die beiden Matrosen tragen Maschinenpistolen bei sich. Doch er entscheidet sich dagegen und drückt dem irritierten Mann stattdessen 260 Dollar in die Hand. „Wenn wir uns in East Hampton begegnen würden, würdest du mich erkennen?“, fragt er ihn mit ernster Mine. „Nein Sir, ich habe sie in meinem ganzen Leben nie gesehen.“ Dasch ist zufrieden, er lässt ihn laufen.

Ein Geheimdienstbericht der Schweizer US-Botschaft hat die amerikanische Regierung bereits vor vier Monaten darüber informiert, dass deutsche Agenten mit U-Booten an die amerikanische Küste gebracht werden sollen, um Sabotageakte auszuüben. Ein Spitzel ihn Kiel hatte das von Angehörigen von U-Boot-Matrosen erfahren. Rund 24000 Sandstampfer patrouillieren bald rund um die Uhr an den amerikanischen Küsten. …


GANZER TEXT IN P.M. HISTORY NR. 11/15