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Gottes Rinder

Text: Mirco Lomoth & Fotos: Pablo Castagnola
Beef Magazin | NR. 09 – 2012

   r stochert in der Glut, schabt sie mit langstieliger Schaufel von den brennenden Holzklötzen, verteilt sie gleichmäßig unter dem Grillrost. Fleisch an Fleisch liegt dort, costillar und vacío, Querrippe und Bauchlappen vom Rind, es riecht rauchig, nach verbranntem Fett, nach Argentinien. Gustavo Recalde legt Holzscheite nach, so groß wie Rinderkeulen, es muss immer genügend frische Glut da sein. Es ist wie bei der Kühlkette, sagt er, eine Hitzekette, das Fleisch muss langsam garen. Heute Morgen um sechs haben sie das Feuer angefacht, um acht die ersten Stücke drauf gelegt, jetzt ist Mittag, Sonntagmittag im Restaurant Los Talas in José León Suárez, im Speckgürtel von Buenos Aires. Ein großer Schuppen, alle 450 Tische sind besetzt, Neonröhren und Ventilatoren, im Eingangsbereich drängeln sich die Gäste. Ein kühler Tag, sagt Gustavo, sie sind hungrig, wir haben extra mehr aufgelegt. Mit langer Fleischgabel rangiert er die

Stücke auf dem Rost, vorne die durch-gegarten, hinten die blutigeren, wetzt sein Messer und schneidet ein beängstigend großes Stück vom vacío ab, innen ist es zartrosa-saftig, außen dunkelbraun-knusprig gegrillt, dass einem das Wasser im Mund zusammen läuft, dazwischen quetscht sich eine fingerdicke gelbliche Fettschwarte. Muss so sein, sagt Gustavo, die Leute wollen ordentlich Fett auf dem Teller, jeder isst am Ende nur so viel, wie er kann, aber das Fleisch hat dadurch mehr Geschmack. Und ja, das ist eine halbe Portion, so um die 600 Gramm. 

Manche bestellen auch ganze, das sind dann 800 bis 900 Gramm oder vorweg ein paar chorizo-Würstchen, Blutwurst und Innereien, butterweiches Kalbsbries mit einem Spritzer Zitrone etwa, kross gegrillter Darm oder Niere, dazu Brot und chimichurri-Soße, Beilagen kaum, manche teilen sich ein Schälchen Pommes oder Salat. Bleibt halt nicht viel Platz, sagt Gustavo. Männer die Salat essen sind wie Frauen, sagt Óscar Bopp, er steht hinter dem Tresen im Los Talas, ein hagerer Mann, 66 Jahre, Baskenmütze, Stoffhose, Messer im Gürtel, ein Clint Eastwood im Gaucho-Look, es ist sein Laden. Wen er kennt, begrüßt er per Handschlag, reicht ihm auf der Klinge seines Messers ein Stück vom vacío aufs Haus, noch mal 400 Gramm, schenkt Rotwein nach. Er ist eine lokale Legende und die Argentinier lieben Legenden. Er hat klein angefangen, in den achtziger Jahren choripan an Lastwagenfahrer verkauft, Bratwurst im Brot. Heute hat er 25 Quadratmeter Grillfläche – vergleichbar mit 150 Standardgrills aus dem Baumarkt. Darauf landen an einem Sonntag an die 800 Kilo Fleisch. Was übrig bleibt, verteilt er an die Armen. Sie warten vor dem Seiteneingang. Er holt ihnen Tüten mit Fleisch vom Vortag aus der Kühlkammer und vacío vom Grill. Argentinien ist ein reiches Land, sagt Óscar, es gäbe genug für alle, wenn nur die Politik gut wäre…

Ganzer Text in BEEF! neun / 2012
Fotos: www.pablocastagnola.com