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Albert-Journal No. 3

Redaktion: Mirco Lomoth | Gestaltung: Fonshickmann m23
Auftraggeber: Einstein Stiftung Berlin | Pressefotos: fonshickmann m23

   ie neue Ausgabe von Albert widmet sich den Altertumswissenschaften in Berlin. Ich habe das Heft für die Berliner Einstein Stiftung von der Themenkonzeption bis zur Schlussproduktion begleitet. Die Texte im Heft kommen unter anderem von Autoren aus der Textetage, einige der Fotos von Pablo Castagnola, die Gestaltung von fonshickmann m23, das Lektorat von Anne Vonderstein, ebenfalls Textetage.
Katja Trippel aus der Textetage hat für das Heft aufgeschrieben, wie Berliner Archäologen gemeinsam mit syrischen Kollegen den Wiederaufbau antiker Stätten in Syrien vorbereiten. Hier ein Auszug aus ihrem Text „Stunde Null“:

Die Besuchergruppe, die im Berliner Pergamonmuseum das Markttor von Milet betrachtet, ist schwer beeindruckt: Wie kommt es, dass dieser 17 Meter hohe, fast 2000 Jahre alte Fassadenbau mit seinen prunkvollen Bogentoren und Marmorsäulen hier in so gutem Zustand vor den Frauen und Männern steht? „Deutsche Archäologen haben es restauriert“, erklärt Omar Rasha* ihnen auf Arabisch, dann fragt er in die Runde: „Erinnert euch das Tor an etwas?“ „An meinen Geschichtsunterricht“, antwortet eine junge Frau mit Kopftuch. „An die Antike“, meint ihr Begleiter. „An Zuhause“, sagt ein älterer Herr mit graumeliertem Haar leise. Er seufzt. „Es erinnert mich an unsere antiken Stätten. In Bosra, in Palmyra, in Sweida. Sie waren so schön und sind jetzt zerstört. Was für eine Schande …“ 

Der Mann ist Syrer, genau wie die anderen Teilnehmer von Omar Rashas Gruppe. Sie haben sich zur „Multaka“-Führung angemeldet, was auf Arabisch „Treffpunkt“ heißt. Denn hier führen Expertinnen und Experten aus Architektur, Kunst oder Archäologie, die meist selbst vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet sind, sie in ihrer Muttersprache durch die weltberühmte Berliner Antikensammlung. Der 31-jährige Archäologe Rasha etwa kommt aus Aleppo. Und je länger er sich mit seinen Landsleuten über die Ausstellung unterhält, umso klarer wird: Sie alle sorgen sich nicht nur um ihre Familien und Freunde in der verlorenen Heimat, sondern auch um die dortigen Kulturschätze. 

Vor dem Krieg waren die römischen Wasserräder von Hama oder die Säulenstraße von Apameia der Stolz des Landes, besucht von Touristen aus aller Welt. Die Altstadt von Bosra mit ihrem 15.000 Zuschauer fassenden Amphitheater, die Ruinen der „Toten Städte“ in Nordsyrien sowie die Oasenstadt Palmyra mit ihren antiken Tempeln, Toren und Thermen zählten gar zum UNESCO-Weltkulturerbe. „Auch dort waren deutsche Wissenschaftlerinnen und Forscher beteiligt“, erzählt Omar Rasha seiner Multaka-Gruppe. „Jedenfalls bis zum Kriegsausbruch …“. Doch er hat auch eine gute Nachricht: „Sie engagieren sich weiter. Von hier aus, gemeinsam mit arabischen Fachleuten wie mir.“

Rasha spricht vom Berliner Museum für Islamische Kunst (MIK) und dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI) – zwei Institutionen, die jahrzehntelang in Syrien geforscht haben. Und nun einen Rettungsplan für das bedrohte Kulturgut verfolgen. Eine der führenden Kräfte dahinter ist die Archäologin Karin Bartl. Sie leitet die DAI-Außenstelle Damaskus, die seit dem erzwungenen Wegzug aus Syrien und einer Interimsphase im jordanischen Amman ihren Sitz in Berlin-Dahlem hat. Ihre Erinnerungen klingen wehmütig: „Als wir im April 2011 unsere Grabungsstätten verlassen mussten, ahnte keiner, dass der Krieg so grausam und zerstörerisch werden würde. 

Wir dachten, nach ein paar Monaten hat sich die Situation beruhigt und wir können zurück an die Arbeit. Das war leider eine Illusion.“ Bartl holt tief Luft. „Natürlich kann man das menschliche Leid nicht vergleichen mit kaputten Steinen. Fast jeder von uns Archäologen trauert um Mitarbeiter und weiß, wie dramatisch die Situation für die Menschen vor Ort und für die auf der Flucht ist. Aber trotzdem ist das Ausmaß der Verwüstung der historischen Stätten in Syrien eine Katastrophe.“

Tatsächlich schert sich keine der Kriegsparteien um die uralten Zeugnisse der Geschichte. Granaten bersten in nationale Kulturgüter. Panzer rasen durch Ausgrabungsstätten. Historische Burgen werden als militärische Stützpunkte genutzt. In Aleppo, Omar Rashas Heimatstadt, zerstören Artilleriefeuer und Bomben die Altstadt, beschädigen die Zitadelle, vernichten im September 2012 den mittelalterlichen Basar, während Rasha mit Kommilitonen für den Studienabschluss lernt. Im Oktober brennt die Umayyaden-Moschee aus, der bedeutendste Sakralbau des Landes; ein halbes Jahr später stürzt ihr 45 Meter hohes Minarett ein. „Es war furchtbar“, erinnert er sich. „Unsere Studienobjekte existierten auf einmal nur noch auf dem Papier.“ 

Als der jungen Archäologe Anfang 2013 mit seinem bestandenen Master in die Türkei flieht, sind den Kämpfern überall im Land längst Plünderer gefolgt – der illegale Handel mit antiken Objekten ist ein lukratives Geschäft; nicht nur für den IS. Organisierte Banden fallen über die „Toten Städte“ her, in Apamea rücken Profi-Räuber mit Baggern an, um Mosaike auszugraben. Im August 2015 – Omar Rasha hat es mittlerweile nach Deutschland geschafft – rücken IS-Truppen in Palmyra ein. Sie ermorden den 83-jährigen pensionierten Leiter der syrischen Antikensammlung und sprengen unter anderem den Bal-Tempel, eines der wichtigsten religiösen Bauwerke aus dem ersten Jahrhundert n.u.Z. im Nahen Osten. Auch das Hadrian-Tor mit seinen drei reliefverzierten Bögen, das um 220 n.u.Z. als Eingang zur Prachtstraße zu Ehren des römischen Kaisers Hadrian errichtet worden war, fällt ihnen zum Opfer. 

„Je schlimmer alles wurde, umso klarer war für uns: Aufgeben ist keine Option“, sagt Friederike Fless, seit 2011 Präsidentin des DAI. „Wir fühlen uns verantwortlich für die Orte, die wir so lange erforscht haben, und auch für die einheimischen Mitarbeiter.“ Also setzte Fless sich mit deutschen und syrischen Kolleginnen und Experten sowie Vertretern der UNESCO als Hüterin der Weltkulturerbestätten zusammen, um gemeinsam zu überlegen: Was können wir aus der Ferne tun? …

Ganzer Text in Albert No. 3 – albertjournal.de