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Ein Meer auf höchster Ebene

Text & Fotos: Mirco Lomoth
STERN | NR.45 – 2009

   as feste Land, das sei nichts für ihn. Víctor Vilca schwingt die Sense ins Schilf. Die Klinge trennt die Halme knapp unter der Wasseroberfläche, lässt sie zu einer grünen Insel zusammen fallen. Er schaut auf, ein rundliches Gesicht unter einer bunten Wollmütze. Nein, damit käme er nicht zurecht. Tiere hüten, Felder bestellen. „Unsere Vorfahren haben immer auf den Inseln gelebt, wir gehören auf den See.“ Er beugt sich über die Reling, um das umher treibende totora-Schilf aus dem Wasser zu fischen – die Ernte eines Nachmittags.

Wir steuern zurück zu den schwimmenden Inseln der Uros. Eine Stadt aus Schilf in der Bucht von Puno, auf den ersten Blick die Kulisse eines schlecht gemachten Fantasy-Films. Eine gewaltige Fisch-Skulptur starrt mit offenem Maul von einem Holzgerüst herunter. Eine Frau mit weit abstehendem signalfarbenen Rock rudert stehend an uns vorüber, ihr Kind lehnt am Bug. Wir machen fest an der Schilfmole der Isla Q’hantati, Victors Insel. Das Gelb der Hütten erstrahlt noch einmal in der Abendsonne und erstirbt kurz darauf zu einem Grau, das die Dunkelheit ankündigt und die Kälte der Nacht.

Der Titicaca-See. Ein Meer in den Anden, auf rund 3800 Metern gelegen, gut 15 mal größer als der Bodensee, bis zu 280 Meter tief. Schon der Name löst Fernweh aus. Ein Ort der Sehnsucht knapp unter dem Himmel,

wo die Uros schwimmende Inseln bauen und jeder Ort jahrhunderte alte Geschichten zu erzählen hat, vom Kondor, von der Schlange der Unterwelt und vom Puma, dem titi, der dem See wohl seinen Namen gab. Wenn es dann endlich vor einem liegt, das endlose, oft saphirblaue Wasser, dann spürt man den Drang hinaus zu fahren, ihm seine Legenden und Geheimnisse zu entreißen, es zu durchmessen, von seinem peruanischen Norden bis zum südlichsten Ufer in Bolivien.

Am nächsten Morgen liegt eine dünne Schicht Raureif über der Insel, bis die Sonne kommt und mit ihr die Touristen. Unbeholfen stapfen sie umher, kaufen Schilfbötchen und Schilf-Mobiles und lassen sich von Victor zeigen, wie man das Inselfundament aus Wurzelblöcken zusammen bindet, wie man das totora kreuzweise darauf auslegt und die Insel mit Pflöcken im Schlick verankert. „Unter uns gibt es nichts als Wasser und Fische“, sagt Victor dann und lacht über erstaunte Gesichter. Er zeigt, wie man die Halme schält als seien es Rhabarberstangen und das geschmacklose, aber jodhaltige chullo-Mark isst. Und wie man Schlingfallen bindet, um Wasserhühner zu fangen. „Kh’ota Mama gibt uns alles“, sagt er. Die Seemutter, sie ernährt ihre Kinder…

— Ganzer Text im STERN  NR.45 – 2009